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EINSTIEG in die RECHTSEXTREME SZENE 

Die Ursachen für eine Hinwendung zum Rechtsextremismus sind vielfältig und komplex und nicht nach dem Ursache-Wirkungs-Prinzip zu beschreiben. Es gibt daher auch nicht den einen, vorbeschriebenen Weg in die Szene. Oft bleiben erste Anzeichen vom Umfeld unbemerkt. Am Ende dieser Hinwendung steht jedoch immer ein Mensch, der bereit ist, eine menschenverachtende, hasserfüllte Ideologie auch mit Gewalt zu unterstützen.  

Es gibt eine Vielzahl von begünstigenden Faktoren, die die Hinwendung zum Rechtsextremismus ermöglichen können. Diese können sein:

 

Einstieg über das Bedürfnis nach Anerkennung und Akzeptanz 

Menschen sind soziale Wesen. Sie suchen sowohl in ihrer Entwicklung und Reife, als auch als Erwachsene nach Anerkennung und Akzeptanz durch andere. Haben sie dauerhaft das Gefühl, diese Anerkennung ihrer eigenen Person nicht erhalten zu können, kann die Hinwendung zur rechtsextremen Szene eine Folge sein. Denn das Angebot von freien Kameradschaften, völkischen Organisationen oder neurechten Strömungen beinhaltet eine scheinbarbedingungslose Akzeptanz des Einzelnen, solange diese im Rahmen ihrer rassistischen Ideologie eingebettet bleibt. Persönliche Ausgrenzungserfahrungen in der Familie, in der Schule oder im Beruf werden so zu einem Merkmal der Gemeinsamkeit und gegen andere Menschen anhand ihres Aussehens, ihrer politischen Einstellung oder ihres Lebenswandels gerichtet. Die Schuld an biographischen Brüchen, Defiziten im Selbstwertgefühl, mangelnder Zuwendung durch andere oder fehlender Zukunftsperspektiven wird somit aus der eigenen Verantwortung auf ganze Gruppen von Menschen übertragen. Die in Deutschland etablierte freiheitlich-demokratische Grundordnung lässt jedoch eine solche gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nicht zu. Rechtsextreme Strömungen befinden sich daher nach eigenem Dafürhalten immer im „(Abwehr-)Kampf“ gegen diese Ordnung und akzeptieren auch Gewalt in der politischen Auseinandersetzung. Für Menschen mit einer Gewaltproblematik kann dies ein Grund sein, sich diesen Szenen anzuschließen (vgl. Becker, Reiner; 2012).

 

Attraktivität der Szene 

Die rechtsextreme Szene befindet sich stets im Wandel und verschiedene Strömungen prägen bis heute das heterogene Bild verschiedenster Gruppierungen in Deutschland. Auch dies macht einen Teil ihrer Attraktivität aus. Modische Stilelemente und Symboliken aus anderen Jugendkulturen werden aufgenommen und im Sinne der rechtsextremen Ideologie verändert und gebraucht. Ihre menschenverachtende Gesinnung dahinter zu erkennen, ist nicht immer auf den ersten Blick möglich. War das Auftreten früher eher offen radikal, zeigen sich viele AnhängerInnen der Szene jung und intellektuell. So wirbt die „Identitäre Bewegung“ besonders häufig mit scheinbar unverfänglichen Argumentationsmustern, die sie modern und zeitgemäß in Imagevideos in den sozialen Medien transportiert. Designs von T-Shirts wie „I love NS“ oder „HKN KRZ“ greifen verschiedene Stilrichtungen auf und zeigen erst nach genauerem Hinsehen ihr Bekenntnis zum Nationalsozialismus. Auch die rechtsextreme Musikszene definiert sich weit mehr, als über Rechtsrock und Balladen. Auch Hip-Hop und Rap, die ihren Wurzeln im afroamerikanischen Funk- und Soulmusik haben, dienen mittlerweile  als Medium für die Ideologie von Neonazis.

 

Einstieg über Musik 

Musik spricht im Menschen Emotionen an. Über sie können Inhalte vermittelt und verfestigt werden, die über die Ansprache der Gefühle des Einzelnen auch ohne rationale Herleitung in dessen Gedankenwelt eingehen. Oft äußern AussteigerInnen aus der rechtsextremen Szene, dass sich die Melodien in ihrem Kopf festgesetzt haben und sie die Texte nur schwer aus ihren Erinnerungen löschen können. Tatsächlich ist Musik ein häufiges und sehr effektives Mittel, Menschen für die rechtsextreme Szene zu begeistern. Musik kann dabei aufputschend wirken und wird oftmals im Gruppenkontext und in Kombination mit Alkohol dazu genutzt, die eigenen Hemmschwellen in Bezug auf Gewalt deutlich zu senken. Musik kann aber auch als Ventil der eigenen Unzufriedenheit fungieren und im Zusammenhang mit einer rechtsextremen Ideologie Sorgen und Ängste in Richtung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit ableiten. Musik schafft schlussendlich auch Zusammenhalt und demonstriert allen Außenstehenden den Zusammenhalt und das Teilen gemeinsamer Werte. Die veranstalteten Rechtsrock-Konzerte in Thüringen haben daher mehrere wichtige Funktionen für die rechtsextreme Szene. (vgl. Kampmann, Sandra; 2016)

 

Einstieg über das Internet 

Über Social Media-Plattformen (wie beispielsweise „Facebook“, „Instagram“ oder „Snapchat“) ist es für rechtsextreme Parteien, Aktionsgruppen aber auch rechtsextreme Online-Versandhändler relativ leicht, Inhalte so zu platzieren, dass gezielt neue Sympathisanten und Mitglieder gewonnen werden können. Durch Verkürzung von komplexen politischen Themen und gezielte falsch Darstellung von Ereignissen greifen sie aktuelle und wichtige Themen des gesellschaftlichen Diskurses auf und bieten scheinbar schnelle und einfache Lösungsansätze an. Dass diese Vereinfachung sich aus einem menschenverachtenden Ideenpools speist, wird oft erst bei weiteren Überlegungen deutlich. Für manche Menschen befriedigen diese „Posts“ jedoch die Suche nach schnellen, wenngleich oberflächlichen Lösungen und Schuldigen. Hass und rechtsextreme Hetze können so immer weiter Raum greifen. Besonders verhängnisvoll für die NutzerInnen ist dabei die Tatsache, dass Social Media-Plattformen nicht darauf ausgerichtet sind, ein umfassendes Bild von Ereignissen, wie dies Journalismus kann, zu zeichnen. Social Media-Plattformen bieten Inhalte aufgrund von Interessen. Sie arbeiten mit Filtern und erzeugen damit sogenannte Filterblasen, die im Falle rechtsextremer Inhalte dafür sorgen, dass sich diese Einstellungen weiter verfestigen. (vgl. Kampmann, Sandra; 2016)

Wie wichtig in der Szene die Vernetzung über Social Media-Plattformen ist, die erst eine schnelle Mobilisierung innerhalb der Gruppierungen auch über Landesgrenzen hinaus ermöglicht, zeigte sich beispielsweise bei den Protesten von Chemnitz und Köthen. Hier konnten rechtsextreme Gruppierungen sehr schnell und massiv die Proteste aufnehmen und als „Aufstand gegen das System“ umdeuten. (vgl. Gamperl, Elisabeth; 2012)

 

Einstieg über Umfeld und Sozialisation

Die Familie kann ein zentraler Punkt bei der Entwicklung einer rechtsextremen Denkart sein. In der Arbeit mit Aussteigern aus der rechtsextremen Szene wird erfahrungsgemäß häufig die Familie als erster Berührungspunkt zur Szene und der Gesinnung beschrieben. Schlechte Beziehungen zueinander, ein autoritärer Erziehungsstil und Gewalterfahrungen innerhalb der Familie, können die Entwicklung von Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft fördern.

Neben der Familie kann die Institution Schule einen erheblichen Teil dazu beitragen, dass sich junge Menschen als ein Teil der demokratischen Gesellschaft verstehen oder sich bis hin zur völligen Ablehnung der freiheitlich demokratischen Grundordnung und der Herausbildung menschenverachtender Einstellungen radikalisieren. Wichtige Einflussfaktoren hierfür können die Empathie, als auch demokratisches Handeln von Lehrkräften, die Atmosphäre innerhalb der Klasse und die (nicht)vorhandenen Möglichkeiten der Partizipation sein (vgl. Becker, Reiner; 2012).

Als ein weiterer wichtiger Einflussfaktor für den Einstieg in die rechtsextreme Szene, kann die Peergroup gesehen werden. Junge Menschen finden in ihr primär Anerkennung, Zugehörigkeit und Gemeinschaft, die sie außerhalb der Gruppe beispielsweise selten bis gar nicht erleben.

 

Aufarbeitung des Einstiegs 

Einstiege in die rechtsextreme Szene sind primär seltener ideologisch motiviert. Oft entstehen sie als Ergebnis auf der Suche nach Anerkennung und Akzeptanz. Ein wesentlicher Bestandteil der Arbeit mit AussteigerInnen aus der rechtsextremen Szene stellt die Hinterfragung und Aufarbeitung der Einstiegsgründe dar. Die Reflektion bezüglich der Fragen nach den Gründen sowie der Motivation des Einstiegs und der Attraktivität der Szene, kann schlussendlich zu der Klarheit führen, dass beispielsweise der Wunsch nach Anerkennung auch in anderen gesellschaftlichen Strukturen zur Verfügung gestellt werden kann (vgl. Koch, Reinhard; 2018).

 

Quellenverzeichnis